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Die Wiesauer

Der Schlesier wird als  ausgeglichener, ruhiger und gemütlicher Stamm charak- teresiert, der auch gerne mal redet und erzählt. 

Er liebt es feste zu arbeiten, aber auch Feste zu feiern.

Sicher sind das Klischees. Aber wie kommt es dazu?

Vielleicht liegt der Ursprung im Dialekt,der es einfach nicht zulässt, dass  etwas grob und derb klingt.

Ein Dialekt, der heute nahezu ausgestor- ben ist. Das Schicksal der Flucht und Vertreibung hat Dorfgemeinschaften und Regionen über Deutschland und darüber hinaus verstreut.

Bereits die erste Generation der Nach- kriegsgeborenen konnte nur noch ver- stehen und allenfalls ein auswendig ge- lerntes Gedicht bei der „Weihnachtsfeier der Flüchtlinge“ in den 50iger und 60iger Jahren vortragen.

Nach dem Tod der Großeltern war es dann  mit diesen Weihnachtsfeiern vorbei und damit der Dialekt praktisch ausge- storben.

Ein Dialekt, der eine 700jährige Entwick- lungsgeschichte durchgemacht hat. Wie in jeder deutschen Mundart sind natürlich auch im schlesischen Dialekt große Unter- schiede festzuhalten.

Die Hauptdialektgruppen in Niederschle- sien waren das Gebirgsschlesisch, die Kräutermundart und das Neiderlandisch und dazu kamen noch viele regionale Fär- bungen.

In der Region Glogau wo es „reiber und neiber eiber de Auder geiht“ wurde „Neiderlandisch“ gesprochen.

Der herausragende Unterschied des “Nei- derlandisch” zu den anderen niederschle- sischen Mundarten ist, dass aus dem hochdeutschen „i“ und „e“ meist ein „ei“ geformt wird und das „o“ und „u“ zum „au“ wird. Mancher Wiesauer wird das so nicht bestätigen können und das hat Gründe.

In den 20iger Jahren des letzten Jahr- hunderts kam zu einer erheblichen Zu- wanderung und damit wurde auch der am Ort gesprochene Dialekt beeinflusst.

Vielleicht ist das Klischee aber auch dem Hang des Schlesiers zur Geselligkeit zu- zuschreiben.

Eine lange Tradition hatte in Wiesau in der Winterzeit das „Federn schleißen“ und das „Mohn auslöffeln“ der Frauen. Reihum ging es in der Nachbarschaft über den ganzen Winter. Dabei wurde dann über alles und jedes geredet. Währenddessen saßen die Männer im Gasthaus, sofern es das oft kärgliche Einkommen erlaubte. Dazu fol- gende Geschichte:

Eine junge Frau, die in Breslau zur Städterin geworden war, beklagte sich bei ihrer Schwiegermutter über den Hang des Mannes zum Gasthaus und bekam folgenden Hinweis: „Mädel, wenn er 60 Eimer getrunken hat, dann hört er von alleine auf“.

Bei so viel Lebensweisheit wurden schle- sische Männer um ihre Frauen beneidet.

Oder vielleicht lag es ja auch daran, dass schlesische Babys an Stelle eines Schnul- lers auch schon mal ein Säckchen mit Mohn in den Mund bekamen. So waren sie still und vielleicht deshalb im späteren Leben ausgeglichen.

Natürlich gab es wie in den anderen Regi- onen Deutschlands eigenständiges Brauchtum.

So z.B. das „Frühlingssingen“ am Sonntag Letare. Die Kinder zogen mit bunten Pa- pierbäumchen von Haus zu Haus und san- gen Frühlingslieder. Dafür gab es dann Süßigkeiten, Wurst, Gebäck und da und dort auch mal ein paar Pfennige.

Ein ganz eigenständiges Gebäck der Re- gion war die Schaumbrezel und die ge- hörte immer dazu.

Der Schlesier liebt Essen und Trinken. Er hat eine Vorliebe für die deftige Haus- mannskost.

An heißen Sommertagen „Kartoffeln mit Quark“ – einfach köstlich.

Ein Landarbeiter hatte dazu eine andere Meinung. Als die Bäuerin ihn beobachtete, dass er zur Kartoffel Butter nahm, sagte sie:
„Kolle is Quark, Quark kühlt“.
Daraufhin Kolle „Ich esse Butter und wenn ich verbrenne“.

Was am Sonnabend die „Kartoffelsuppe mit Knoblauchwurst“, dass war am Sonn- tag das „Kliesla“. „Dos Kliesla“ durfte auf  keinem sonntäglichen Mittagstisch fehlen. Spötter behaupten, man könne damit die Scheibe des Nachbarn einschmeißen. Stimmt, sie sind etwas fester als Thü- ringerer Klöse, aber „schmecken tun se“.

Und nicht zu vergessen das Schlachtfest mit Wellfleisch. Oder die Bratwurst aus Kalbfleisch, die in manchem Wiesauer Haushalt zusammen mit Rosenkohl, Salz- kartoffeln und „brauner Putter (Butter)“ an Heiligabend auf den Tisch kam.

Wenn es um Fisch ging, dann war der Karpfen auf der Beliebtheitsskala ganz vorne. Vor allem zu Sylvester wurde er gerne gegessen.

Eine Karpfenschuppe kam an diesem Tag in die Geldbörse. Das sollte sicherstellen, dass diese im neuen Jahr nie leer ist. Ein bisschen abergläubisch waren und sind die Wiesauer eben auch.

Zu den Trinkgewohnheiten gehörten Küm- mel und Korn, wie die Nacht zum Tag. So- weit es den Wiesauer als Mann betrifft. An frostklirrenden Tagen war Grog ange- sagt und der hatte es in sich.

Merke dir eines, sagte ein Großvater zu seinem Enkel: „Rum muss sein, Zucker kann sein, Wasser braucht nicht sein“.

Eine Kerngruppe des Wiesauer Flücht- lingstrecks kam im März 1945 in Ober- franken im Landkreis Kronach an. Und obwohl diese Region einen ungeheuren Flüchtlingsdruck verkraften musste, blie- ben Spannungen aus. Für etliche wurde diese völlig andere Landschaft neue Hei- mat.

Wenn man heute die „Kronicher“ fragt, was ihnen zu den Menschen einfällt, die vor 60 Jahren in Scharen kamen, dann erhält man die verblüffende Antwort:

„Seither sprechen wir schneller“.

Die Wiesauer sind erdverbundene Men- schen und viele haben ihre Liebe zur Hei- mat auf ihre Nachkommen übertragen. 

Seither sind 60 Jahre vergangen. Mit dem Ergebnis der Geschichte haben sie sich arrangiert oder sie respektieren und ak- zeptieren es.

Zwischen den Bewohnern von Radwanice und den Wiesauern sind seit Anfang der 70iger Jahre Kontakte entstanden, die seither gepflegt und vertieft werden.

Als Gruppe oder einzeln, viele besuchen die Heimat ihrer Vorfahren immer wieder - obwohl sich die Zeugnisse der Vergangenheit verändern bzw. durch natürlichen Verfall untergehen.

Das Dunkel der Geschichte wird sich deshalb noch etwas gedulden müssen.

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