|
„Nun, jetzt ich bin über 135 Jahre alt. Als am 18. Mai 1870 mein Grundstein gelegt wurde, da war Krieg und ich
sollte in dieser langen Zeit noch weitere Kriege erleben. Wie glücklich und stolz zugleich war ich, als 1871 der Krieg zu Ende ging und ich den Namen „Friedenskirche“ erhielt. Schlank und rank
stand ich, umgeben von Gehöften, Gärten und Kastanien, inmitten der niederschlesischen Tiefebene. Ich war 36 Meter in die Höhe gewachsen und hat- te einen herrlichen Blick über die Dörfer des Amtsbezirks.
Nur im Osten versperr- ten mir die Dalkauer Berge den Blick auf die Kreisstadt Glogau und die Oder. Ich war geschmückt mit drei Glocken und vier Zifferblättern. In meinem Inneren spielte eine
wohltönende Orgel und ich hörte Chöre, Predigten und Gebete. Von unten drang das Getrappel der Pferdehufe von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu mir herauf. Durchbrochen wurde es von Ambossklang, fauchenden Dampfmaschi- nen und kreischenden Sägen.
Im Frühling folgte ein Farbtupfer auf den anderen. Einmalig die Pracht der Kartof- felblüte. Und wenn später das Korn be- reits reif wurde, dann blickte ich auf das wogende Meer der blauen Flachsblüte. Aber ich wollte doch von der Geschichte |
|
|
|
|
|
meiner Gemeinde berichten und hätte mich beinahe verplappert. Einen Teil hat mir der Schmied, dessen Ambossklang ich an
allen Werktagen hören konnte, abge- nommen. Er wurde 1893 in Wiesau ge- boren und bei mir getauft. Irgendwann schrieb er sein Wissen um unser Wiesau auf. |
|
|
Die Ortschronik von Schmiede- und Hufbeschlagmeister Hermann Meisel Wiesau ist ein Dorf im Kreis Glogau in Schlesien. Es liegt 15 Kilometer südwest- lich von Glogau. In den Jahren 1901 und 1902 wurden beim geometrischen Punkt
am Zeisegraben, auf dem Grundstück des
Müllers Scholz, Urnen- funde gemacht, die seine frühgeschichtliche Besie- delung dokumentieren. Ich habe als Kind diese Urnen selbst gesehen, die dann an das Museum für Völkerkunde nach Breslau gingen. West-
lich von Wiesau begann das Bruchge- lände. Zum Bruch flossen die Bäche aus unserem Gemeindebereich und vereinigten sich dort mit der Sprotte. Es waren der Flittgraben, die Kiemnitzer Zeise, der Grätz, die Luge und der Mühlgraben.
|
|
|
|
|
|
Die Wiesauer Flurstücke hatten alle einen besonderen Namen. |
|
|
|
|
|
|
Es waren die Luge, der Lindenschlag, die kleine Luge, der Pritschin, der Schmug, der Galgenberg,
das breite Stück, der neue Bruch/Grätz, die kleine und die große Scheibe und der Leiper Berg. Auf den
Wiesen am „Landgraben“, so wur- de die Sprotte im Volksmund genannt, wurden zu Beginn des Jahrhunderts grös- sere Mengen Hufeisen gefunden. Diese sollen von mongolischen Pferden stam- men, die im Bruchmoor
umgekommen sind. |
|